Weiße Giganten

Eine viel zu dunkle Garage.
Er sitzt in der Mitte des staubigen und mit Laub bedeckten Bodens auf einer kleinen Leiter, in seiner Hand eine Metallsäge. Die Säge bewegt sich vor und zurück, doch es ist zu dunkel, um zu erkennen, woran er sägt.
Sein Körper ist eingehüllt in einen weißen Kittel, doch sein Gesicht wird weder von Mundschutz noch von einer Schutzbrille bedeckt. Funken fliegen durch den Schmutz und Staub, sie erhellen kurz eine große schwarze Box, wahrscheinlich das Möbelstück, an dem er sägt. Über seinem Kopf hängt eine einzelne, von Fliegendreck fleckige Glühbirne. Irgendwo kreischt eine Nachtigall einen viel zu hohen Ton. Doch die Säge ist lauter.

“Du bist wunderschön.”

Er sagt das, ohne mich anzusehen und ich frage mich, woher er meinen Namen weiß. Irgendetwas drückt mich von hinten in die Dunkelheit der Garage, eine große schwarz-weiße Spirale saugt mich in ihr Inneres und hält mich fest, bis sie mir dir Luft abdrückt. Das gleichmäßige Kreischen der Säge, der schrille Ton der Nachtigall hallt in meinem Kopf wieder. Aus einer entfernten Nachbarschaft höre ich eine Alarm-Sirene.

Ich werde in die große schwarze Box gesogen, er lehnt über mir, die Säge noch immer in der Hand bearbeitete er das Gefäß in dem ich liege. Funken sprühen schmerzhaft auf meine nackten Füße. Ich bemerke es und kann es trotzdem nicht verhindern. Warum ich gelähmt bin, weiß ich nicht. Aber ich finde mich schnell damit ab. Vielleicht war es schon immer so gewesen. Vielleicht hatte ich noch nie die Kraft gehabt, mich gegen irgendetwas zu wehren.
Und jetzt auch nicht, als er mir gefährlich nah kommt und ich die einzelnen Falten um seine grauen Augen erkennen kann.

Entangle.

Er beginnt mich leidenschaftlich zu küssen und seine Lippen schmecken nach Trauben-Kaugummi, süßlich und so intensiv, dass ich den Geruch noch wahrnehme, als er sich schon längst von mir löst. Die Schmerzen in meinen Füßen werden unerträglich und ich will die Augen öffnen und ihm deuten, dass ich mich vor Lust und Qual winde. Ich will mich wehren gegen die Funken, gegen das Schreien der Säge, gegen das Kreischen der Nachtigall, gegen diesen weißen Giganten.
Nichts geschieht. Bewegungslos kann ich ihn nur wahrnehmen. Er sitzt bei mir und trotzdem kann ich ihn nicht erreichen.

“Ich baue dir einen Sarg.”, flüstert er leise.

Tagtraum

(Was beim Einschlafen hilft)

Ich betrete durch die schmale Glastuer den Gastraum des Gazio Cafe.
Ich muss mich buecken, um mit meinem Kopf nicht gegen die herunterhaengende schwarz-weisse Plane zu stossen. In nur drei Schritte befinde ich mich in der Mitte des engen Raumes, Stuehle und Alu-Tische dicht an dicht gestellt, die Theke hinter der normalerweise Y. steht, blitzblank und glaenzend. Ueber dem Getränkespender steht das japanische Zeichen fuer “Wasser” in blauen kraeftigen Farben. Auf einem alten Roehren-Fernseher-Bildschirm rauscht das schwarz-weisse Testbild. In die Wand eingelassen steht in fahler Beleuchtung der Plastik-Anzug aus dem Ashura Clock Video, unbewegt und doch wie lebendig wirkend durch die integrierten Handschuhe, die stramm an der Seite der Puppe platziert sind. Bunte Windspiele drehen sich von der Decke ueber den Tischen. Ihre Farben reflektieren im Licht und ihre Formen sind durch die schnellen Bewegungen kaum erkennbar.

Er sitzt mit dem Ruecken zu mir an einem der hinteren Tische, vor dem grossen Fernseher des Cafes. Er hat mich bemerkt, aber er laesst mich naeher treten, bevor er mich begruesst. Waehrend ich mich hinsetze, steht er gleich auf und unsere Blicke treffen sich nicht. Aber ich weiss genau, dass er es ist, niemand anderes wuerde allein in diesem Cafe sitzen. Er stellt sich hinter mich und ich beginne von meinem Tag zu erzaehlen und seine warmen Haende liegen auf meinen Schultern.
Er beginnt mich zu massieren, drueckt liebevoll aber mit Kraft seine Haende gegen meine Schulterblaetter. Ich erzaehle davon, wie furchtbar Ikebukuro ist, wie lange die Fahrt nach Kamifukuoka dauert, von einer lustigen Kraehe, die ihren Kopf in eine Plastiktuete steckte, um an den letzten Kruemel eines vertrockneten Reisballs heran zu kommen, an die Bauarbeiter auf der unbefahrenen, verlassenen Strasse, drei von ihnen und jeder weist mir den Weg, weil sonst niemand da ist und sonst nichts zu tun ist, von dem alten Hauswart gegenueber der Bushaltestelle, der sich kaum noch buecken kann, waehrend er den Eingang zu einem laengst verlassenen Buerogebaeude fegt, die kahlen Felder, die bluehenden Pflaumenbaeume mit ihren explodierenden Knospen, rot wie Blut….
Und waehrend Hirasawa seinen Ellebogen in meinen Ruecken drueckt schlafe ich ein.

1. und 2. April

Ich laufe durch diese Stadt wie in einem Traum.
Schwere Wolken haengen ueber einem grauen Himmel und ueber meinem traegen Kopf. Meine blau-bestrumpften Fuesse gefallen mir nicht in den eier-schalen-farbenen Schuhen, mit denen ich langsam ueber die Strasse laufe.
Ich weiss nicht wohin ich laufe, obwohl ich noch weiss, wo ich bin.

In einer in Watte gehuellten Welt haengen dicke, fleischige Zitronen und strahlende Kamelien an einem dichten Busch. Ich laufe ohne aufzuschauen, dabei befinde ich mich in Umejima, zweite Strasse, Adachi, Tokyo, an einer unbefahrenen Kreuzung. Er koennte hier irgendwo sein und auf mich warten, auf mich – in blauen Struempfen und Eierschalen-Schuhen.
Ein grossvaeterlicher Wind drueckt mich gegen eine Hauswand und ich vergesse wieder, wo ich bin, muss mich daran erinnern – Umejima, zweite Strasse, Adachi, Tokyo, angepasst durch eine Persoenlichkeitsstoerung, die in europaeischen Laendern als verpoent gilt. Das war meine Eintrittskarte. Heaven 2000.
Doch die Watte um mich herum, aus denen die Wolken gemacht sind und die auf meinen Kopf drueckt verbietet mir auch heute weiter zu laufen und ich bleibe stehen. Sehe in die Richtung, die vielleicht Tsukuba Sanchome ist, da wo du jeden Morgen vor die Tuer gehst und den Berg begruesst, mit einem grossvaeterlichen Wind, getragen durch Watte-Wolken in eine Traum-Welt. Meine Traumwelt. Recovery ship.

Wenn ich kurz verschnaufe, kann ich gleich weiter laufen, weiter durch Umejima, zweite Strasse, Adachi, Tokyo, vielleicht laufe ich dir dadurch sogar entgegen.

Alles Gute zum Geburtstag.